Info

Andrea van Reimersdahl is a Berlin-based painter specialized in textile works and prints. The textile material is the connection from painting through the body to movement. Van Reimersdahl's works strive for vibrancy and lightness, they can be viewed from different perspectives or can be wearable.

In paintings and installations, she creates delicate surfaces of abstract shapes, colors and textures. Site-specific or body-related references are her sources of inspiration. In many works she incorporates the female figure into her approach. Since 2020, she has been expanding her artistic production with digital strategies.

Growing up on the German-Dutch border, a region with traditional textile production, she combines classical painting with processing techniques from the clothing industry such as applications and textile printing. In 2004, she received her master's degree in painting from Prof. Katharina Grosse at the Weißensee Kunsthochschule Berlin. With the idea of a wearable painting on the human body she founded the fashion label AVR.

She presented her works in fashion shows, performances and in art institutions, such as the Galerie Ursula Walter in Dresden, the Saasfee*Pavillon in Frankfurt a. M., the Künstlerforum Bonn or in the studio gallery at the HAL Berlin. She has received grants and awards from the Hans and Charlotte Krull Foundation, the Stiftung Kunstfonds, the Stiftung Kulturwerk of the VG-Bild Kunst and the Reclaim Award, among others.




DE
Andrea van Reimersdahl ist eine in Berlin lebende Malerin, die sich auf textile Arbeiten und Drucke spezialisiert hat. Das textile Material ist die Verbindung von der Malerei über den Körper zur Bewegung. Van Reimersdahls Arbeiten streben nach Lebendigkeit und Leichtigkeit, sie können aus verschiedenen Perspektiven betrachtet werden oder tragbar sein.

In Raum- und Wandarbeiten schafft sie delikate Oberflächen aus abstrakten Formen, Farben und Texturen. Ortsspezifische oder körperbezogene Referenzen sind ihre Inspirationsquellen. In vielen Werken bezieht sie die weibliche Figur in ihren Ansatz mit ein. Seit 2020 erweitert sie ihre künstlerische Produktion mit digitalen Strategien.

Aufgewachsen an der deutsch-niederländischen Grenze, einer Region mit traditioneller Textilproduktion, verbindet sie klassische Malerei mit Verarbeitungstechniken aus der Bekleidungsindustrie. In 2004 schloss sie ihr Studium der Malerei bei Prof. Katharina Grosse an der Weißensee Kunsthochschule Berlin ab. Mit der Idee einer tragbaren Malerei am menschlichen Körper gründete sie das Modelabel AVR.

Sie präsentierte ihre Arbeiten in Modenschauen, Performances und in Kunstinstitutionen, wie der Galerie Ursula Walter in Dresden, dem Saasfee*Pavillon in Frankfurt a. M., dem Künstlerforum Bonn oder in der Studiogalerie im HAL Berlin. Sie erhielt Stipendien und Preise u. a. von der Hans und Charlotte Krull Stiftung, der Stiftung Kunstfonds, der Stiftung Kulturwerk der VG-Bild Kunst und dem Reclaim Award.





Scapinelli´s Deal
Galerie 149, Bremerhaven, 2021

Der Titel der Ausstellung ist inspiriert von einem Stummfilm mit dem Titel „Der Student von Prag“ von 1913. Ihr Interesse an Filmen bzw. Stummfilmen ist in der Inszenierung von Bühne und Kostüm mit Stofflichkeit, Licht und Schatten als Stilmittel begründet. In der Malerei haben Licht – und Schattenwirkungen eine zentrale Bedeutung. Sie sind die Grundlage, um das flächige Bild dreidimensional wirken zu lassen. In der Ausstellung „Scapinelli´s Deal“ greift Andrea van Reimersdahl auf den tatsächlichen Schatten zurück. Den Gegensatz zwischen der materiellen Bildfläche und ihres immateriellen Schattens hebt sie auf, indem sie die Schattenprojektion ihres eigenen Körpers Teil des Bildes werden lässt.




Text: Reclaim Award, 2020
Großflächenplakat, Reclaim Award für Kunst im öffentlichen Raum, Köln

Andrea van Reimersdahl betreibt Malerei multidimensional. Die Arbeit „Identity sucks“ visualisiert die Vorstellung von bewegten Bildern, die über den Ausstellungsraum hinaus interagieren. In der hier abgebildeten Fotografie zeigt sich die Künstlerin eingehüllt in ihre Malerei. Ihre Identität verschwindet und die abstrakten Bildflächen nehmen Gestalt an. Texturen, Farben und Strukturen werden zu Elementen, mit denen sie, sprichwörtlich zum Bildträger geworden, nach außen kommuniziert.




Die Opulenz der Reduktion
Wie die Beschränkung auf die schwarz-weiß Palette zum Moment einer komplexen Form- und Strukturwahrnehmung wird.
Charlotte Silbermann, 2020

Weniger Konzept, mehr Nuancen und Strukturen
Dass eine Welt in schwarz und weiß keine rigide Ordnung meint, die alles in ein Ja und Nein spaltet und die weniger chaotisch wäre als die farbige Welt, ist ein klarer Fokus in der Ausstellung 0+255. Die einzelnen Positionen umkreisen in diesem Sinne allenfalls ästhetische Ordnungsversuche oder machen gar chaotische Strukturen mit dem Mittel der Farbreduktion sichtbar. In der Beschränkung auf hell-dunkel Nuancen kann eine besondere Aufmerksamkeit auf die Vielgestaltigkeit von Formen, Oberflächen und Muster gelenkt werden, die eine Sensibilisierung für die Rhythmik visueller Wahrnehmung zur Folge hat. Die vermeintliche Statik des schwarz-weiß Kontrastes wird einmal mehr obsolet und der Verzicht auf Farben wird zu einem Spektakel flimmernder und differenzierter Strukturen oder lebendiger Übergänge materialbedingter Schattierungen. Qualitäten wie opak und transparent, dicht und lose, dünn und geschichtet, pastos und flüssig bestimmen vor allem in den installativen und skulpturalen Positionen, aber auch in den bildnerischen Werken, die Übergänge von Licht und Schatten, hell und dunkel - manchmal sogar mehr als die reduzierte Farbpalette.
In der Fokussierung der Ausstellungspositionen auf das Materielle und die räumliche Erfahrung wird das Konzept von schwarz-weiß in eine Realität überführt, die einem rein geistigen, mathematischen Prinzip der schwarz-weiß Opposition widerspricht. Für diese geistige Opposition hatten sich vor gut hundert Jahren vor allem die Konstruktivsten wie etwa Piet Mondrian interessiert. Die zum Teil hart konturierten schwarz-weiß Kontraste der Modernisten beeinflussen womöglich noch immer unsere visuelle Vorstellung von Kunst, die sich auf die Farben Schwarz und Weiß beschränkt. Die Ausstel- lung 0+255 entwirft mit dem Fokus auf stoffliche Nuancen und Strukturen eine andere, differenzierte Erfahrung auf den schwarz-weiß Kontrast.

In den installativen Draperien von Andrea van Reimersdahl liegt der Anspruch, das Bild zu überwinden, ohne die Malerei aufzugeben. Ihre skulpturalen Gebilde setzen sich aus unterschiedlichen stofflichen Qualitäten zusammen, auf denen sich der Farbauftrag jeweils anders verhält. Das Changieren der Grautöne oder das Lichtspiel der vielfältigen Grauschattierungen variiert so je nach Gewebestruktur und wird durch die Faltungen der Stoffensembles noch einmal verstärkt. Die Farbmaserung steht schließlich aber im Kontrast zur weichen Materialität der Objekte. Sie legt eine Assoziation an Gesteinsschichten nahe. Hinzu kommt die feste Spannung der Stoffe durch Seile im Raum. Die Draperien sind weniger einem barocken Faltenwurf nachempfunden, sondern streben als Zelte oder Drachen vielmehr nach oben.




Dem Ephemeren einen Raum geben
Julia Gwendolyn Schneider, 2017

Der Verzicht auf die Wand als Trägermaterial von Kunst, ist bei Andrea van Reimersdahls Arbeit mit textilen Elementen zentraler Bestandteil. Sie setzt Gewebe in seiner Raum bildenden Wirkung ein. Diesem Prinzip folgt auch ihre jüngste Installation Um den Morast zu umgehen, gingen wir in Richtung Osten (2016), die sie im Rahmen der Ausstellung Slight Show in der Kunsthalle am Hamburger Platz zeigt. Die Wände der Kunsthalle werden nicht bespielt, sind aber für die Konzeption der künstlerischen Arbeit von zentraler Bedeutung: van Reimersdahl hat hier Maß genommen. Sie hat die Wandflächen vermessen und den Umfang ihrer verwendeten Stoffbahnen daraufhin berechnet. Entlang der Fensterfront des modernistischen Zweckbaus in Berlin-Weißensee, lässt sie Raum hohe Gewebebahnen Stellung beziehen. Auf den ersten Blick dominiert ihr Vorhangcharakter. Es lässt sich jedoch um sie herum bewegen – der Abstand zu den Fenstern ist bewusst großzügig bemessen. Die Stoffbahnen agieren wie Raumteiler im Sinne der Bauhaus-Textilkünstlerin Anni Albers, die in den 1950er-Jahren für den Einsatz von formbaren gewebten Stoffen als „Gegenstück zu den festen Wänden“ in Museen plädierte.

Doch van Reimersdahl geht darüber hinaus. Zu den raumgreifenden textilen Flächen mit leichtem Faltenwurf, gesellen sich asymmetrische Drapierungen. Die amorph gewundenen Tuchbahnen hängen an filigranen Ketten in unterschiedlicher Höhe im Raum und stellen ihre fragile Stofflichkeit explizit zur Schau. Subtil unterwandert die „weiche“ Materialeigenschaft des Textilen die geordnete Raumordnung der „festen“ Architektur. Es entsteht ein diffuser Raum, in dessen Unvorhersehbarkeit das Verlockende liegt. Unweigerlich müssen wird uns entscheiden, welche Wege wir in Bezug auf die textilen Hängungen einschlagen wollen. Sie eröffnen ein vielschichtiges Möglichkeitsfeld der Wahrnehmung. Dabei ist nicht nur die räumliche Gesamtanordnung von Bedeutung, hinzu kommt der mysteriöse Faltenwurf der Drapierungen, das Spiel von Licht und Schatten, sowie die Vielfalt der einzelnen Versatzstücke der vernähten Stoffbahnen. Hier finden sich vor allem Kombinationen aus gelben und schwarzen Farbfeldern, gepaart mit Bereichen in denen lockere, schwarz-weiße Strukturen auftauchen. Diese wild wuchernden Regionen erstellt die Künstlerin im Siebdruckverfahren. Beim Drucken verwendet sie in der Natur gesammeltes abgestorbenes organisches Material, wie Blattwerk, Tannennadeln oder Geäst, wodurch sie ihre Stoffe mit abstrakten Gestaltungselementen versieht. Schlussendlich lässt die gesamte Installation ein visuell-taktiles dreidimensionales nicht-gegenständliches Bild im Raum entstehen.

Bezeichnender Weise ereignet sich das Springen zwischen zwei- und dreidimensionalen Ebenen nicht nur in den installativen Arbeiten der Künstlerin, es tritt auch in ihren Zeichnungen zum Vorschein, in denen sie sich, wie im Textildruck, mit Kompositionen aus Oberflächenstrukturen beschäftigt. Auf der zweidimensionalen Ebene des Papiers sprießen und wachsen filigrane, meist schwarz-weiße, Strukturen. Die zarten Linien-Mengen können Faltungen, Kreuzungen und Krümmungen enthalten. Durch das Schraffieren abstrakter landschaftlicher Strukturen, bewegt sich van Reimersdahl auch hier im Spannungsfeld zwischen Wirklichkeit und Medialität sowie von Fläche und Raum.
Bemerkenswert ist, dass es der Künstlerin bei ihrem Interesse an Strukturen nie um einen festgefrorenen Habitus geht, also nicht um Stillstand und strukturelle Ordnung, sondern vielmehr um eine Art bewegter Unordnung. Ihre Zeichnungen wie ihre Installationen sind von der Auseinandersetzung mit Zeitlichkeit, Vergänglichkeit und Prozessualität geprägt. Dabei gelingt es van Reimersdahl ein Stück weit die Flüchtigkeit der Welt einzufangen.